» Rheinische Post – 23.03.2010 +
Komplizierte Wahrheit:
Die Balkan-Kriege
VON GODEHARD UHLEMANN
Die These des früheren ARD-Korrespondenten in Belgrad besagt, dass der, der die Hintergründe der Balkan-Trennungs-Kriege in den 1990er Jahren begreifen will, zurückgehen muss ins Jahr 1941, als Adolf Hitler und sein italienischer Partner Benito Mussolini in Kroatien den Faschismus entfesselten.
Es folgte eine Zeit, in der die kroatische faschistische Ustascha Verbrechen an den Serben verübte, die bis heute nicht annähernd aufgearbeitet wurden, die nach wie vor das Verhältnis von Serben und Kroaten schwer belasten und als traumatische Erfahrungen Anfang der 90er Jahre nach dem einsetzenden Zerfall Jugoslawiens und dem Beginn der Kriege reaktiviert wurden. Die Kriege der Jahre 1991 bis 1995 seien im Grunde nur eine Fortsetzung der Geschehnisse der 40er Jahre.
Schiller geht es an keiner Stelle darum, die Serben unter ihrer Leitfigur Slobodan Milošević von der Schuld für die Gräuel der Jahre 1991 bis 1995 freizusprechen. Er will nur einer einseitigen und vorschnellen Schuldzuweisung an Serbien für diese Balkantragödie den Boden entziehen, die historische Altlasten beiseite schiebt und verkennt, dass diese psychologisch noch enorme Sprengkraft besitzen.
Das nach Ende des Ersten Weltkrieges 1918 mit den Friedensverträgen geschaffene Königreich Jugoslawien war von Hitler und Mussolini im Rahmen ihres Weltenbrandes zerstört worden. Das nationalsozialistische Regime machte sich den kroatischen Nationalismus zunutze.
„Es war Nazi-Deutschland, das Kroatien in die Terrorherrschaft der Ustascha gestürzt hat“, schreibt Schiller. Die Nazis förderten die Gegensätze zwischen Kroaten und Serben, wo immer und wie immer es ging. Am Ende stand das Konzentrationslager Jasenovac, das „Auschwitz des Balkans“, wo kroatische Faschisten wüteten und Serben, Juden und Roma umbrachten. Schiller wirft die Frage nach einer deutschen Mitverantwortung für die Geschehnisse auf dem Balkan der 90er Jahre auf. Er öffnet mit seinem lesenswerten Buch all denen die Augen, die an die einfache Formel geglaubt haben, dass die jüngste Balkangeschichte nur Übeltäter wie die Serben Milošević, den in Den Haag vor Gericht stehenden Karadžić und den noch immer flüchtigen General Mladić kennt.
Die Wahrheit ist viel komplizierter.
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» Deutschlandradio Kultur – 24.01.2010 +
Kurz und kritisch
Müller: "An der Seite der Wehrmacht", Schiller: "Deutschland und 'seine' Kroaten", Guittard: "Auf Pantoffeln durch den Terror"
Rolf-Dieter Müller beschreibt die Zusammensetzung der Wehrmacht im Dritten Reich. Ulrich Schiller bewertet die jugoslawischen Kriege Anfang der 90er-Jahre. Und das Tagebuch des Pariser Bürgers Célestin Guittard, das während der Französischen Revolution entstand, wird erstmals veröffentlicht.
Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht
Verlag S.Fischer
Nicht nur in der britischen Presse, auch in der hiesigen wird selten differenziert, wenn es um die Wehrmacht geht - alle Soldaten waren Nazis und die waren alle Deutsche. Punkt. Das ist bequem, aber faktenfern. Offenbar möchte man nur ungern wahrhaben, dass bemerkenswert viele Europäer aus freien Stücken mit den Nationalsozialisten in den Kampf zogen: Finnen, Ungarn, Rumänen, Italiener, Slowaken, Kroaten, Spanier, Franzosen, Belgier, Holländer, Dänen, Norweger, Esten, Letten, Litauer, Polen, Russen, Ukrainer und Kaukasier, die sich freiwillig zur Wehrmacht, oft sogar zur SS gemeldet hatten.
Nicht nur einzelne Soldaten, auch ganze Armeen, darunter die des russischen Generals Wlassow, kämpften als Freiwillige an der Seite der Deutschen. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges bestand immerhin ein gutes Drittel der deutschen Armee aus Ausländern. Solche und andere gern verdrängte, aber unabweisbare Tatsachen hat der Militärexperte Rolf-Dieter Müller in einer gut recherchierten Untersuchung erstmals systematisch zusammengestellt, die jetzt auch als Taschenbuch erscheint. Und er meint: Wir sollten uns fragen, ob wir uns nicht bislang eine allzu einseitige Betrachtung des deutsch-sowjetischen Krieges geleistet haben.
Ulrich Schiller: Deutschland und "seine" Kroaten
Donat Verlag
Wenn sich einer mit dem Balkan auskennt, dann ist es Ulrich Schiller. Der Journalist und ehemalige Korrespondent beobachtet seit bald 50 Jahren die dortigen Konflikte, insbesondere den serbisch-kroatischen. Sein Buch beginnt in der Herzegowina, wohin er 1953 als Slawistik-Student reist. Schiller schildert eindrücklich seine Erlebnisse in einer Region, in der schwere politische Verwerfungen bis heute nachwirken.
Die jugoslawischen Kriege Anfang der 90er-Jahre wertet er als eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs in Kroatien. Er spricht von verhängnisvollen Fehlern bei der Bewältigung der Jugoslawienkrise und benennt die Verantwortlichen. Es gelingt ihm, die Hintergründe der Balkan-Tragödie deutlich zu machen, zugleich möchte er einseitigen Schuldzuweisungen an Serbien den Boden zu entziehen, indem er Fakten liefert. Schillers Plädoyer: Kroatien muss seine Vergangenheit aufarbeiten und die Europäer dürfen Südosteuropa nicht vergessen. Es braucht gezielte Unterstützung - im Sinne des geeinten Europa. Ein schmaler Band mit viel Substanz.
Célestin Guittard: Auf Pantoffeln durch den Terror
Eichborn Verlag
Der kleine Alltag und das epochale Ereignis ergeben in der Wahrnehmung von Geschichte sehr verschiedene Wirklichkeiten. Wer sich an archäologischen Fundstücken orientiert, wird über Ideologie und Religion einer Gesellschaft nur indirekt Auskunft geben können. Wer hingegen nur die großen philosophischen und religiösen Texte liest, wird den Alltag nicht immer erfassen können. Mit dem Aufstieg der kulturellen Anthropologie - für die unter anderen der Deutsche Franz Boas und der Franzose Claude Lévy Strauss stehen - gibt es den Versuch, beide Denkmuster zusammenzuführen. Vor allem bei der Untersuchung von historischen Umbrüchen hat sich das bewährt.
Eines der großen Ereignisse der europäischen Geschichte, die Französische Revolution, wird zunehmend, gewissermaßen von oben und unten, erfasst. 2007 erschien das saloppe Pariser Tagebuch des württembergischen Gesandten Wilhelm von Wolzogen, kurz darauf das amüsante Journal des letzten Coiffeurs der armen Marie-Antoinette, Léonard Autié. Der jüngste Protagonist nun, der sich dem Alltags-Geschehen jener Zeit widmet, geht in Pantoffeln durch den Terror: Célestin Guittard. Selten wurde ein so friedliches, so banales Paris gezeigt, in dem zugleich unablässig Robespierres Guillotine fällt. Der Autor, ein wahrer Pedant, registriert punktgenau das tosende Ende einer Epoche - und merkt es nicht mal. Auch daran erkennt man die Struktur der Französischen Revolution. Ein Essay von Volker Ullrich bietet die wissenschaftliche Einordnung, ein Register fehlt zwar, aber dafür ist das blau-weiß-rot gebundene Buch ein haptischer und optischer Genuss.
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» Kieler Nachrichten – 15.03.2010 +
Balkan, Krieg und Krisen
Pulverfass, Europas unruhiger Hinterhof - das sind gängige Bezeichnungen für den Balkan. Warum aber die Region seit Jahrhunderten für Krieg und Krisen steht, dem gehen gleich zwei Neuerscheinungen nach.
Und das aus gutem Grund. Denn die aus den jugoslawischen Zerfallskriegen 1992 bis 1995 hervorgegangenen Staaten nehmen Kurs auf die EU: Slowenien ist bereits seit 2004 Mitglied, mit Kroatien laufen Beitrittsverhandlungen, Mazedonien genießt offiziellen Kandidatenstatus, die übrigen Staaten des westlichen Balkans (Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Serbien sowie das nicht ex-jugoslawische Albanien) sind potenzielle Beitrittskandidaten. Für sie alle ist eine europäische Perspektive vermutlich die einzige Chance, den immer wieder gewalttätig-explosiven Nationalismus zu überwinden. Für die EU wiederum ist eine dauerhaft befriedete südöstliche Flanke ein lohnendes Ziel.
Dass sich drei Journalisten des schwierigen Themas angenommen haben, garantiert in beiden Fällen gut lesbare Lektüre. Ulrich Schiller, früherer ARD-Korrespondent und „Zeit“-Autor, konzentriert sich auf Kroatien und den Ustaa-Faschismus, verantwortlich für den fast völlig verdrängten kroatischen Genozid an Serben, Juden und Roma, den man stolz an Hitler-Deutschland meldete. Alte Ustaa und neue Nationalisten schufen 1991 mit Gewalt das neue Kroatien. Schiller korrigiert in diesem Zusammenhang das Bild von der Hauptschuld der Serben an den Zerfallskriegen. Auch die Rolle Deutschlands analysiert der promovierte Slawist wenig schmeichelhaft für die Nachkriegs-BRD und schließlich für die Regierung Kohl-Genscher, die mit der Anerkennung Kroatiens vorpreschte - wohlwissend, dass Kroatien sich auch Teile Bosniens einverleiben wollte. Thematisiert wird auch die Verstrickung der katholischen Kirche in das kroatische Drama.
Der frühere „Spiegel“-Mann Ihlau und Mayr, der heutige Balkan-Experte des Magazins, haben ihr Buch breiter angelegt - ihnen ist ein informativer Rundumschlag zu Geschichte und Gegenwart der Region gelungen. Und sie erklären, welche Herausforderungen von dort auf die europäische Staatengemeinschaft zukommen. So unterschiedlich beide Bücher sind, so lohnend ist die Lektüre.
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» NWZ ONLINE +
Leidenschaftliches über die Tragödie des Balkans
GESCHICHTE Zeitzeuge Ulrich Schiller berichtet vom serbisch-kroatischen Konflikt
ULRICH SCHILLER: „DEUTSCHLAND UND ,SEINE’ KROATEN“, DONAT VERLAG, , 227 SEITEN, 14
BREMEN - Der Zufall führte Ulrich Schiller 1953 in das Haus eines serbischen Studenten in der Herzegowina – und vieles nahm hier seinen Anfang.
Später kehrte er in die Region zurück, als ARD-Korrespondent in Belgrad, doch wichtiger: fortan beschäftigte er sich, auch wenn er längst in anderen Ländern arbeitete, mit der Geschichte und Entwicklung der Konflikte auf dem Balkan, insbesondere des serbisch-kroatischen Konflikts.
In dem Buch „Deutschland und ,seine’ Kroaten“ führt der Autor uns – und das für viele überraschend – vor Augen, wie auch wir Deutschen in der Vergangenheit eine Entwicklung befördert haben, die über Jahrzehnte einen Bruderkrieg befeuert hat.
Zum Inhalt des Buches: Kroatien hat das Jahr 1941 noch zu überwinden, das Jahr, in dem der Ustasa-Staat mit der von Deutschland verliehenen Macht den Völkermord an Serben, Juden und Roma begann. Mit verheerenden Folgen schlugen diese Ereignisse auf die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre durch.
Schiller entzaubert die Kroaten, ohne die Serben mit ihren Zielen aus dem Blick zu verlieren – die Brutalität zum Beispiel, mit der Serbien unter Miloševic sofort auf Kroatien einschlug – der ewige Bruderkrieg. Was übrig blieb vom ehemaligen Jugoslawien, ist heute in unfertigen Nachfolgestaaten zu besichtigen.
Schillers Buch, das dem Leser ein wichtiges Stück Europas als geschichtliche Erfahrung und bleibende Aufgabe vor Augen führt, lebt von seinen eigenen Erfahrungen als Zeit- und Augenzeuge. Hinzu kommen neue Quellen und Analysen der tragischer Balkangeschichte im 20. Jahrhundert.
Das Buch lebt nicht zuletzt von der Wortgewaltigkeit eines Journalisten, der Dinge auf den Punkt bringt und dafür nicht ständig lange und verschachtelte Sätze braucht.
Er reiht einfach Fakten aneinander. Schiller selbst sagt, er habe lange gebraucht, um das Thema in den Griff zu bekommen. Das glaubt man gern.
Das Buch bewegt. Es ist mit Leidenschaft geschrieben und keine leichte Kost.
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» Die Zeit – 25.03.2010 +
Die balkanische Blutspur
Atemberaubend: Ulrich Schiller über Kroatien
*Christian Schmidt-Häuer*
Dieses Buch hat mir den Nachtschlaf geraubt. Bis dahin hatte ich geglaubt, als ehemaliger Balkan-Korrespondent die Zerstörung Jugoslawiens und ihre Vorgeschichte detailliert genug zu kennen. Das war ein Irrtum. Was Ulrich Schiller hier mit größter Akribie und zugleich persönlicher Zeugenschaft zusammengefügt hat, ist atemberaubend. Anders als die meisten Autoren hat der einstige ARD- und ZEIT- Korrespondent in Belgrad, Moskau und Washington nicht die serbische Hauptschuld an den Balkan-Gräueln herausgestellt. Er verfolgt mit historischen Beweisketten, die zeitweilig um den halben Erdball führen, Kroatiens Blutspur in den Bosnienkrieg von 1992 bis 1995.
Ein Menschenalter vor Srebrenica schon hatten die ethnischen Massenmorde begonnen, als der faschistische »Unabhängige Staat Kroatien« von Hitlers Gnaden Zehntausende Serben in die Karstschluchten der Herzegowina stürzen ließ - in Gruppen zusammengekettet, sodass sie einander in den Tod rissen. Das »Dritte Reich« und den Vatikan verbanden gemeinsame Interessen an der katholischen Separatisten-Hölle: Die Ustasa-Bewegung zerstörte Jugoslawien und drängte die orthodoxe Kirche zurück. Nach Kriegsende - Schiller übergeht die gnadenlose Rache der kommunistischen Partisanen an Hitlers kroatischem Fußvolk keineswegs - verschifften Priester die obersten Henker nach Argentinien. Der »Führer« Ante Pavelic fand zeitweilig Unterschlupf im Vatikan selbst und bei Castel Gandolfo. In den sechziger Jahren trugen die Separatisten aus Emigration und neuer Generation die Frühform eines klerikalfaschistischen Dschihad in die Bundesrepublik mit Mordanschlägen auf jugoslawische Institutionen. Ideen und Prinzipien der Ustasa pflanzten sich fort bis zur obsessiven Präsidentschaft Franjo Tudjmans mit religiösem Nationalismus, der Absicht, einen ethnisch homogenen Staat zu schaffen, dem Komplott zur Aufteilung Bosnien-Herzegowinas. Das schmiedete Tudjman zunächst bei den zwei bekannten Begegnungen mit dem Serben Milosevic. Als es scheiterte, setzte Tudjman vor allem auf Bonn, wobei er die Teilungsabsichten nicht verheimlichte. Bis heute bleibt es unfasslich, welchen Realitätsverlust die Olympioniken der Wiedervereinigung, Kohl und Genscher, nur zwei Jahre später erlitten, als sie Kroatien gegen internationalen Rat 1991 anerkannten - und damit zur endgültigen Teilung Jugoslawiens und Eskalation des Bürgerkriegs beitrugen.
Ulrich Schiller: Deutschland und »seine« Kroaten Vom Ustasa-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus; Vorwort v. H. Koschnick; Donat Verlag, Bremen 2009; 228 S., 14,80 EUR
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» NNZ – 28.03.2010 +
Zeitgeschichte Am jugoslawischen Zerfallskrieg ist nicht nur Serbien schuld
Dunkle Kapitel in Kroatiens Vergangenheit
Ulrich Schiller: Deutschland und «seine» Kroaten. Vom Ustascha Faschismus zu Tudjmans Nationalismus.
Donat, Bremen 2010. 227 Seiten, Fr. 26.50.
Von Reinhard Meier
«Pavelic und die Ustascha? Wer weiss schon davon etwas, heute», fragt der Balkan-Kenner Ulrich Schiller. Ante Pavelic war der blutrünstige kroatische Diktator und Gefolgsmann Hitlers, die Ustascha die von ihm während des Zweiten Weltkrieges geführte faschistische Partei in Kroatien, die grauenvolle Verbrechen an Serben, Juden und andern Minderheiten beging und aufs Engste mit der katholische Kirche verknüpft war.
Schiller vertritt die gut begründete Meinung, dass die Hintergründe der jugoslawischen Zerfallskriege in den neunziger Jahren nur zu verstehen sind, wenn man zurückgeht auf den Zweiten Weltkrieg – namentlich zu jener Zeit, «als Hitler und Mussolini in Kroatien den Faschismus entfesselten». Gerade deshalb, argumentiert der Autor, trage Deutschland für die Entwicklungen auf dem Balkan eine besondere moralische Verantwortung. Die Wahrheit sei das Fundament der Demokratie, zitiert er Angela Merkel.
Schiller, der schon in den fünfziger Jahren als Slawistikstudent Jugoslawien bereiste und später als ARDKorrespondent aus Belgrad über Titos Vielvölkerreich berichtete, kennt die Komplexität der balkanischen Kriegsverstrickungen. Ihm geht es mit seinem Buch darum, den Blick zu öffnen für Zusammenhänge, die der einseitigen Schuldzuweisung an Serbien für die Tragödie am Ende des 20. Jahrhunderts den Boden entziehen.
Damit sollen aber, wie der Autor betont, die serbischen Kriegsverbrechen unter Milosevic, Mladic und Karadzic in keiner Weise verharmlost werden. Schuld an dem blutigen Drama am Südrand Europas trifft auch die TitoHerrschaft, die jede offene Diskussion über die «nationale Frage» und über die im Zweiten Weltkrieg auf jugoslawischem Boden begangenen Verbrechen erstickte.
Als skrupellos beschreibt Schiller auch Franjo Tudjman, den führenden Kopf Kroatiens beim Auseinanderbrechen Jugoslawiens, der kaum weniger nationalistisch verblendet agierte wie sein serbisches Pendant Milosevic. Weil er 1999 «rechtzeitig starb», blieb er vor einem Prozess vor dem Haager ExJugoslawienTribunal verschont.
Schiller lobt die Arbeit der Chefanklägerin Carla Del Ponte, die in ihrer Anklageschrift die kriminellen Unternehmungen Tudjmans minutiös beschrieben habe.
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» Eurasisches Magazin – 03.03.2010 +
„Deutschland und ‚seine’ Kroaten - Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus“ von Ulrich Schiller.
Nein, eine „objektive“ Darstellung ist das nicht, weil es so etwas gar nicht gibt. Wer schreibt, der wertet, und wer wertet, sollte sich zu seiner wertenden Subjektivität bekennen. Das garantiert zumindest ein ehrliches Buch, das zum guten Buch wird, wenn sattelfeste Faktenkenntnis, kundiger Umgang mit Quellen, stimmige Gesamtschau von Prozessen, leserfreundlicher Stil und eine flüssige Darstellung hinzukommen.
Von Wolf Oschlies
EM 03-10 · 03.03.2010
Biographie und Lebenserfahrungen des Autors bestimmen die „Dramaturgie“ seines Werks. Ulrich Schiller hat ein Buch vorgelegt, in welches er sich persönlich und fachlich optimal „einbrachte“ (und hier ist dieses scheußliche Modeverb einmal am Platz). Man hält ein Buch in der Hand, das informatorische und stilistische Aha-Effekte der besten Art liefert.
Schiller, Jahrgang 1926, musste 1943 Soldat werden und kam 1945 für über vier Jahre in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Aus dieser hat er das Beste gemacht: Russisch gelernt und später in Göttingen, Freiburg und Berlin ein Slavistikstudium mit Promotion abgeschlossen. Seit 1956 war er Journalist und hat lange Jahre von den wichtigsten Orten der Weltpolitik berichtet: Belgrad, Moskau, Washington.
Schillers jüngstes Buch befasst sich mit dem deutsch-kroatischen Verhältnis im 20. Jahrhunderts (plus zeitlichem Vorlauf und Nachspiel). Die ungemein detailfrohe und kundige Darstellung gliedert sich in zwei große Abschnitte: Die ersten Kapitel schildern, wie sich der kroatische Chauvinismus und antislavische Rassismus an übelsten deutschen Mustern schulte und formte – die anderen Kapitel berichten zum einen von der Unverschämtheit und Dreistigkeit, mit der kroatische Extremisten Deutschland zum Tummelplatz ihrer Anschläge und Morde machten, und zum anderen von der unglaublichen Dickfelligkeit, mit welcher sich deutsche Politik zu allen Zeiten und besonders seit 1990 von Zagreb vorführen und hintergehen lässt.
Mahnung zu Einkehr und Umkehr zurückgewiesen
„Nein, einer Aufnahme Kroatiens in die Europäische Union will und kann dieses Buch keinen Stein in den Weg legen“, schreibt Schiller in einer „Vorbemerkung“ zu seinem Buch, und er fährt fort: „Es war Nazi-Deutschland, das Kroatien in die Terrorherrschaft der Ustaša gestürzt hat, das ist unumstritten“. Und im ganzen nachfolgenden Inhalt kehrt leitmotivisch immer wieder ein Gedanke zurück: Es ist Kroatien, das so gut wie keinen Versuch unternommen hat, sich mit seiner völkermörderischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, es ist vielmehr stolz auf diese und weist ausländische Mahnung zu Einkehr und Umkehr empört zurück.
Eigene Schandtaten wie das KZ Jasenovac („Balkanisches Auschwitz“), kurz nach Kriegsende von einer staatlichen Kommission in allen Details dokumentiert, hat man verharmlost oder bestritten, dafür den Mythos vom „kroatischen Golgatha in Bleiburg“ geprägt, dem österreichischen Städtchen, wo 1945 Titos Partisanen angeblich Hunderttausende „wehrlose Kroaten“ umbrachten. Was längst bekannt war, hat die Zagreber Zeitung „Vjesnik“ am 11. September 2004 eingestanden: „Bleiburg“ ist eine Märtyrer-Legende, in den frühen 1950-er Jahren von dem Ustascha-Emigranten Nikica Martinovic erdacht und planmäßig verbreitet, erst unter Emigranten, dann bis in die Staatsphilosophie des unabhängigen Kroatiens hinein.
Sprachlehre in einer internationalen Arbeitsbrigade
Das alles und viel mehr breitet Schiller mit einem dokumentarischen Tiefgang aus, der selbst Balkankenner verblüffen muss. Aber als „Einstieg“ präsentiert er Erinnerungen, die vollends „umhauen“. Da will ein junger deutscher Slavist „eine zweite slawische Sprache lernen“, Serbokroatisch, und das nicht in der Universität, sondern „vor Ort“. Er bewirbt sich um „Aufnahme in eine internationale Arbeitsbrigade“, die die Autostraße Zagreb-Belgrad baute. In dieser Zeit durften nur jene deutschen Staatsbürger sich in Jugoslawien sehen lassen, die keine ethnischen Deutschen waren, die Lausitzer Sorben nämlich. Davon hatte Schiller damals keine Ahnung, brauchte er auch nicht, denn er wurde von Anfang an herzlichst aufgenommen, im hercegovinischen Capljina, einem der übelsten Ustascha-Nester des Kriegs, und von seinen neuen Bekannten auch sofort ins Grauen der jüngsten Geschichte eingewiesen.
Bei der Niederschrift dieser ersten Eindrücke stellt er erstmalig die Frage, die sich ihm im weiteren Verlauf des Buchs immer wieder aufdrängt: Warum haben die Kroaten nichts zur Verfolgung und Verurteilung der kroatischen Urheber dieser Untaten unternommen, preisen sie vielmehr als nationale Heroen?
Weil, so Schillers Antwort, die deutsch-kroatische Kumpanei wirkt: Das Ustascha-Regime war ohne deutsche Förderung nicht denkbar, aber das später in allen Details aufzuklären, hatten weder Kroaten noch Deutsche Interesse. So bleibt als einziger Unterschied zwischen ihnen, dass Deutsche das Hitler-Regime früh verurteilten, während die Kroaten Pavelics „Unabhängigen Staats Kroatien“ (NDH) bis zur Gegenwart als Inbegriff von Patriotismus und Muster kroatischer Staatsbildung ansehen. Genau das aber sollte die Kroaten für jede europäische Perspektive disqualifizieren, denn „was wird aus ‚unserem’ Traum Europa, wenn wir die alten Hypotheken aus unseliger Vergangenheit weiter mit uns herumschleppen und zuschauen, wie neue Lasten im alten Geist drauf gesattelt werden“?
Die Rolle des militanten Katholizismus
„Warum die Grausamkeiten auf dem Balkan so besonders unmenschlich und abstoßend waren, wollen die Zeitgenossen immer wieder wissen“. Schiller schildert diese Grausamkeiten, kann aber keine erschöpfende Antwort auf die Frage nach den Ursachen geben. Einen großen Schuldanteil weist er den traditionell in Bosnien-Hercegovina aktiven Franziskanern zu: „Einen militanten Katholizismus verbreiteten die Mönche, eingepackt in kroatischen Nationalismus, das Gemisch, aus dem der Geist der Ustascha waberte und nach außen quoll“. Gewiss, die kroatischen Chauvinisten betrachteten zu allen Zeiten und bis heute Bosnien als „rein kroatisches Land“, aber die bosnischen Franziskaner zu den geistigen Vätern des Ustascha-Terrors zu machen, vermag nicht völlig zu überzeugen. Aber benötigt Terror überhaupt ein Warum? Es ist Schiller zu danken, dass er die Lüge von den „terroristischen Serben“ im Königsreich Jugoslawien erwähnt, die noch für alle Extremisten herhalten musste, „um den Terror gegen die Serben zu rechtfertigen“.
In altösterreichischen Biographien, Chroniken etc. wird immer wieder hervorgehoben, dass die Habsburger Monarchie mit allen „ihren“ Völkern Konflikte hatte, ausgenommen die Kroaten: Die waren brav und kaisertreu und wenn in ihrem Landtag eine Abstimmung anstand, dann fragten sie zuvor in Wien nach, welches Resultat gewollt sei. Ganz anders hielten es die Kroaten mit dem „Königsreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (SHS), ab 1929 „Jugoslawien“, dem ihre vollste Abneigung galt. Deren aggressive Speerspitze waren Terrororganisationen wie die am 6. Januar 1929 gegründeten Ustascha, die 1934 hinter dem „Königsmord“ von Marseille standen, dem der jugoslawische König Aleksandar zum Opfer fiel. Ursprünglich waren Mussolinis Faschisten das Vorbild der Kroaten gewesen, aber bald schwenkte man zu Hitler über, dessen programmatische Neigung zu territorialen Revisionen und rassistischen Vernichtungen eigenen Plänen mehr entsprach.
Der unabhängige Staat Kroatien
Im April 1941 begannen Deutschland und Italien einen Krieg gegen Jugoslawien, das sich unter Führung Serbiens gegen die eigene Vereinnahmung in die Achsenpläne von Berlin und Rom gewehrt hatte. Bereits am 10. April proklamierten die Ustascha ihren „Unabhängigen Staat Kroatien“ (NDH), der – um ganz Bosnien vergrößert, um große Teile der dalmatinischen Küste verkleinert – fortan auf Gedeih und Verderb zu Hitlers Großdeutschem Reich stand: „Antisemitismus, Nationalismus, Vergötterung des ‚Poglavnik’ Pavelic als Geschenk Gottes, Verehrung Hitlers und seiner Soldaten (...) Gott und die Kroaten. Nazi-Deutschland und die Kroaten“.
Der NDH beteiligte sich verlustreich an Hitlers Feldzug gegen die Sowjetunion und errichtete im Inneren KZs wie Jasenovac, die partiell nationalsozialistische „Muster“ an Grausamkeit übertrafen. Das haben selbst deutsche Militärs wie Edmund Glaise von Horstenau, „Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien“, gerügt – natürlich folgenlos. Vjekoslav „Maks“ Luburic, der sadistische Kommandant von Jasenovac, durfte wie bisher weitermachen und wurde nach Kriegsende sogar Chefideologe der kroatisch-nationalistischen Emigration im Ausland.
Anfang Mai 1945 waren Krieg und Ustascha-Herrschaft zu Ende, die Führer flohen, wobei sie die Goldbestände der Nationalbank mitnahmen. Mit ein paar Tausend Anhängern und in Begleitung Tausender deutscher Soldaten kamen sie bis ins österreichische Bleiburg, wo Titos Partisanen das angebliche Massaker unter ihnen anrichteten. Das hat es, wie oben bereits erwähnt, im behaupteten Ausmaß nie gegeben, was aber Kroatien nicht abhält, in diesem österreichischen Städtchen ein alljährliches Memorial voll verlogenen Selbstmitleids aufzuführen, das alle Welt über die Verbrechen kroatischer Ustascha hinwegtäuschen soll.
Flucht nach Westeuropa und Südamerika
Ab Seite 76 breitet Ulrich Schiller Daten und Fakten aus, die man bislang selten oder nie vernahm. Pavelic und sein Anhang flüchteten nach Westeuropa und Südamerika, dabei unterstützt von Briten, Amerikanern und dem Vatikan. Nach offiziellen Angaben hat Jugoslawien bis Ende 1948 an die Westmächte 1.828 Ersuchen um Auslieferung (mutmaßlicher) Kriegsverbrecher gestellt, ganze 208 wurden positiv beschieden, 1.620 verworfen. Schiller bedauert aus guten Gründen die Folgen: „Die Frage muss erlaubt sein, so irreal sie auch sein mag, ob alles anders gekommen wäre, ob der Zerfall Jugoslawiens am Ende des Jahrhunderts ohne das furchtbare Gemetzel abgegangen wäre, wenn die Westmächte Pavelic ergriffen, ausgeliefert oder in Nürnberg vor Gericht gestellt hätten? Pavelic in Nürnberg – warum eigentlich nicht, schließlich hatte auch er den Siegermächten den Krieg erklärt. (...) Die Bataillone indessen, die später gegen Tito-Jugoslawien aufmarschierten, hätten sich gewiss auch ohne Pavelic formiert, in erster Linie in der kroatischen Emigration“.
Diese Emigration verstand sich als Vorwegnahme einer kroatischen Befreiungsarmee, die beim demnächst ausbrechenden Dritten Weltkrieg zusammen mit der US-Armee in Jugoslawien einmarschieren werde. So wurde es in der Bundesrepublik Deutschland, Spanien und Südamerika propagiert, ab den späten 1960-er Jahren mit positivem Echo auch in Kroatien selber, wo diese Pläne auf die Zustimmung hoher Partei- und Armeefunktionäre wie Franjo Tudjman, dem späteren „Staatsgründer“, stießen. Diese Verbindung zwischen alten Ustascha und neuen Nationalisten ist in Kroatien in den vergangenen 20 Jahren in stolzer Offenheit immer wieder herausgestellt worden, was westliche Politiker nicht verstanden, nicht mitbekamen, nicht ernst nahmen.
Besonders harthörig war hier die deutsche Politik, die es offenkundig nicht weiter störte, dass Deutschland Schauplatz eines Bandenkriegs kroatischer Terroristen gegen jugoslawische Missionen und Diplomaten wurde. Am 29. November 1962 verübten 26 Kroaten einen Anschlag auf die jugoslawische Handelsmission in Bonn-Mehlem: „Nichts beeindruckte sie, nicht die Rücksicht auf ihr Gastland, auf das Völkerrecht und nicht die Rücksicht auf Menschenleben (...) Der ‚Bonner Generalanzeiger’ fand sogar Verständnis für die kroatischen Attentäter, da doch Kroatien im ersten Jugoslawien (1919-41) unter dem serbischen Joch gelitten und seit dem Zweiten Weltkrieg unter dem der Kommunisten zu leiden habe“.
Ustascha und RAF Arm in Arm
Die Attentäter wurden gefasst, vor Gericht gestellt und zumeist freigesprochen. Die Deutschen rührten sich auch nach 1977 nicht, als das schlimmste Geschmeiß beider Seiten, die kroatischen Ustascha und die deutsche Baader-Meinhof-Bande, gemeinsame Sache machten. In Zagreb wurden deutsche Terroristen gefasst, Jugoslawien wollte einen Austausch gegen Ustascha-Gangster, was Deutschland unter Berufung auf das Asylrecht verweigerte. Der Schaden war immens, denn die deutschen Terroristen konnten ihr Unwesen weiter treiben und die Ustascha rühmten sich noch Jahrzehnte später ihrer Taten. Mehlem war der Auftakt zu einer langen Serie von Anschlägen und Morden, auf die jugoslawische Geheimdienste mit gleicher Münze zurückzahlten, wann immer sie konnten. Das endete erst ab 1991, als Tudjman-Kroatien seine Tore weit für alte Ustascha und neuere Attentäter öffnete, die fortan als „Helden“ gefeiert wurden.
Tudjman hatte bereits Anfang 1990 den traurigen „Mut“, Pavelics NDH als die „Erfüllung aller historischen Sehnsüchte der Kroaten“ zu rühmen, was im Grunde der Start des jugoslawischen Bürgerkriegs war, denn eine solche Äußerung musste die alten Ängste der Serben, Bosnier etc. vor Ustascha-Greuel wiedererwecken. Diese Angst war berechtigt, denn seit langen Jahren trommelte einer der Wortführer der Emigration, der Jasnovac-Schlächter Luburic, was die kroatische Absicht sei: „Unsere Einstellung ist klar. Jedes Jugoslawien vernichten (...) Es mit der Dialektik der Worte vernichten und mit Dynamit, aber es bedingungslos vernichten, denn wenn es einen Staat gibt, der keine Existenzberechtigung hat – dann ist das einzig und allein Jugoslawien“.
So etwas hätte Tudjman, der die längste Zeit seines Lebens jugoslawischer General und Kommunist gewesen ist, nicht geäußert, aber ein Friedensengel war er auch nicht: „Es hätte keinen Krieg gegeben, wenn wir ihn nicht gewollt hätten“, befand er schon 1992. Gegen den Krieg richtete sich ein UN-Waffenembargo, aber mit Wissen und Förderung deutscher Stellen kauften die Kroaten in Deutschland Waffen der ehemaligen DDR-Armee, um damit „ihren“ Krieg zu führen.
Tudjman starb Ende 1999 – rechtzeitig vor seiner wohl unausweichlichen Anklage beim Haager Kriegsverbrecher-Tribunal (ICTY). Die Deutschen haben ihn bis fast zum Zerwürfnis mit ihren westeuropäischen Partnern gefördert und gestützt. Warum? Aus ignoranter Verkennung und Verdrehung von offenkundigen Tatsachen: „Ein Mitarbeiter Genschers hat einem Besucher damals (= 1991) anvertraut, man wisse, dass Tudjman ein Faschist ist, die Jugoslawische Volksarmee sei aber die größere Gefahr“. Dass Tudjman alte Ustascha mit neuen Regierungsämtern bedachte und deren Hauptziel, Bosnien als „kroatisches“ Land mit Kroatien zu vereinen, zu seinem Ziel machte, war offenkundig keine Gefahr.
Die Schuld von Kohl und Genscher
Auch das Treffen Tudjman – Milosevic vom Frühjahr 1991, bei dem beide die Aufteilung Bosniens unter Serbien und Kroatien verabredeten, war in deutschen Augen wohl gänzlich ungefährlich. Zustimmend zitiert Schiller das Urteil eines anderen deutschen Balkan-Kenners: Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher tragen „ein gerüttelt Maß an Mitschuld für die rasche Ethnisierung und blutige Eskalation in der Region“. Hauptkriegstreiber waren die Kroaten, aber als der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen Kroatien erwog, war es Deutschland, das diesen Versuch vereitelte – bekundete der kroatische Diplomat Mario Nobilo.
Mit US-Hilfe konnte Tudjman im August 1995 die Serben aus der kroatischen Krajina, wo diese seit Jahrhunderten ansässig waren, vertreiben, und dieser Gewaltakt wird bis zur Gegenwart gelegentlich tadelnd erwähnt, aber er ist beileibe kein Hindernis für Kroatiens EU-Beitritt. Auch die kroatischen Kriegsverbrecher im Generalsrang sind keine Steine auf Kroatiens EU-Weg: Wenn sie zufällig gefasst und ins Haag gebracht werden, erheben sich daheim wilde Proteste, denn „kroatische Männer, die das Land vom Bösen befreit haben, können nicht zur Rechenschaft gezogen werden“ (Franjo Tudjman).
Schillers Buch beginnt mit einem Vorwort von Hans Koschnick und endet mit einem wunderbaren Kapitel über Koschnicks segensreiches und furchtloses Wirken als EU-Administrator in Mostar. Kroatische Chauvinisten und Gangster-Paten haben Anschläge auf ihn verübt und organisierten Lynchversuche gegen ihn, aber die EU-Außenminister haben „nicht nur keinen Finger für ihren Administrator in Mostar gerührt, sie baten den kroatischen Bürgermeister von Mostar, Mijo Brajkovic, sogar an den Verhandlungstisch“.
Rezension zu: „Deutschland und ‚seine’ Kroaten - Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus“ von Ulrich Schiller, Donat Verlag, Bremen 2010, 227 Seiten, 14,80 Euro, ISBN-13: 978-3-938275-70-2.
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Hypothek der Geschichte
Die deutsche Mitschuld und Mitverantwortung für die Tragödie auf dem Balkan.
Den Sommer 1953 verbrachte der Slawistikstudent Ulrich Schiller in der westlichen Herzegowina. Der Aufenthalt entschied über seinen Berufsweg, der ihn ab 1960 als ARD-Korrespondent nach Belgrad, Moskau und Washington führte. Und er öffnete ihm die Augen für deutsche Mitschuld und Mitverantwortung auf dem Balkan. Über die hat er nun ein Buch geschrieben.
Die Familie, die Schiller damals gastfreundlich aufnahm, gehörte zur serbischen Minderheit und damit zu den zahllosen Opfern der planmäßigen Ausrottungspolitik der faschistischen Ustaŝa-Bewegung. Deren „Führer“ Ante Pavelić wurde Chef des am 10. April 1941 in Zagreb unter deutscher Besatzung ausgerufenen unabhängigen Kroatien: Ein Staat von Hitlers und Mussolinis Gnaden, der sich der aktiven Unterstützung durch die katholischen Kirche sicher wusste und mit Konzentrationslagern, Massenmord und Vertreibung ein großkroatisches, ethnisch homogenes Reich erzwingen wollte. Dem staatlichen Terror fielen bei Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 400 000 Menschen zum Opfer, darunter 300 000 Serben und 31 000 Juden.
Tabuisierte Gräuel aus den Kriegsjahren
Nach dem Sieg von Titos Partisanen, die grausame Rache und Vergeltung an den Ustaŝa-Anhängern übten, begann am 29. November 1945 das Experiment, unter der Parole „Brüderlichkeit − Einigkeit“ ein neues, föderatives, doch von einer gemeinsamen Staatsidee getragenes Jugoslawien zu schaffen. Sichtbares Zeichen dafür waren die über 20 000 Partisanendenkmäler, die den Ausgangspunkt für eine neue Gesellschaft symbolisieren sollten. Doch sie scheiterte – vollends nach Titos Tod – nicht nur an den ökonomischen und politischen Schwierigkeiten und der veränderten Rolle des einst blockfreien Landes nach dem Abbau des Ost-West-Konflikts. Schwer wog nicht zuletzt die fehlende Aufarbeitung der Gräuel aus den Kriegsjahren, die zu Lebzeiten Titos nicht diskutiert, sondern tabuisiert wurden.
Ustaŝa-Führer Ante Pavelić, der „jugoslawische Hitler“, wurde zunächst von den Alliierten als Kriegsverbrecher gesucht, dann aber unter den Vorzeichen des Kalten Kriegs in das neue Weltbild integriert und entkam schließlich mit Anhängern und Nutznießern nach Argentinien. Er starb 1959 in Madrid. Doch aus seiner weltweiten Diaspora heraus verfolgte der extremistische und gewaltbereite kroatische Nationalismus auch weiterhin das alte Ziel der Wiedergeburt eines unabhängigen, „ethnisch reinen“ Staates. Sein Instrument war weltweiter Terror. Den bekam auch die Bundesrepublik zu spüren, wo der „kroatische Krieg auf deutschem Boden“ zwischen 1962 und 1976 mit blutigen Anschlägen auf jugoslawische Regierungsvertreter und Einrichtungen geführt wurde – und die Vergeltung des jugoslawischen Geheimdienstes provozierte.
Völkerrechtliche Anerkennung Kroatiens im Alleingang
In diesen verwickelten historischen und politischen Zusammenhängen mit seinen ideologischen und personellen Kontinuitäten, die er genau und anschaulich nachzeichnet sowie im Detail belegt, sieht Ulrich Schiller nun einen entscheidenden und wirkungsmächtigen Beweggrund für die jugoslawische Tragödie: Die Zerfallskriege zwischen 1991 und 1995 bilden für ihn die Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs in Kroatien von 1941 bis 1945. Wesentliche Prinzipien und Ideen, aus denen dann Grenzveränderungen und „ethnische Säuberungen“ folgten, hätten seit damals überlebt, so Schillers These. In dem glühenden Nationalisten Franjo Tudjman, dem ersten Staatspräsidenten des selbständigen Kroatien, das sich am 25. Juni 1991 zur unabhängigen Republik erklärte, hätten sie schließlich einen Vollstrecker gefunden.
Vorwürfe erhebt Ulrich Schiller dabei auch gegen die Politik des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und von Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die beide –in Unkenntnis der Hypotheken der Geschichte und der besonderen deutschen Verantwortung und entgegen dem Rat von Balkankennern – am 21. Dezember 1991 im Alleingang Kroatien und Slowenien völkerrechtlich anerkannt, damit das Ende Jugoslawiens besiegelt und so auch den Konflikt in Bosnien-Herzegowina verschärft hätten.
Seine aus der Vergangenheit abgeleitete, schlüssige Beweisführung trägt Schiller engagiert und mit spürbarer Leidenschaft vor. Seine jahrzehntelange persönliche Erfahrung mischt sich dabei mit eigener Anschauung mit Blick für das sprechende Detail und nüchterner politisch-historischer Analyse. Sie schärft auch den Blick dafür, dass politische Konflikte nicht naturgegeben und deshalb unabänderlich sind, sondern von Menschen gemacht werden. Ein auch in diesem Sinne aufklärendes Buch.
Ulrich Schiller: Deutschland und „seine“ Kroaten, Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus, Mit einem Geleitwort von Hans Koschnick, Donat Verlag 2009, 227 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-938275-70-2.
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» WDR5 – 07.03.2010 +
Ulrich Schiller: Deutschland und „seine“ Kroaten. Vom Ustasa-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus
von Wolfgang Stenke
Autor
Mehr als 50 Jahre ist es her, dass ein Slawistikstudent, der schon Krieg und Gefangenschaft hinter sich hatte, von Göttingen nach Kroatien reiste, um seine Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Die Begegnung mit seinen Gastgebern, Serben aus der Herzegowina, konfrontierte ihn unversehens mit den Folgen von Hitlers Balkanpolitik: Die Mutter seines Freundes Novica war von kroatischen Ustascha-Faschisten im Konzentrationslager Jasenovac, dem „Auschwitz des Balkans“, ermordet worden. Novica und seine Brüder flüchteten in die Berge und schlossen sich den Partisanen Titos an.
Ulrich Schiller, der später Journalist wurde und aus Moskau, Belgrad und Washington für die ARD und die Hamburger „Zeit“ berichtete, hat diese Begegnung nie vergessen. Damals, 1953, befielen ihn Schuldgefühle:
ZITATOR
„Ich zählte, unbeschadet aller mir herzlich erwiesenen Gastfreundschaft, zu den Angehörigen jener Feindnation, die 1941 mit dem Krieg das Morden und Töten, das große Elend über Jugoslawien brachten.“
Autor
Denn Ante Pavelic, der kroatische „Führer“, politisch verantwortlich für die Massenmorde an Serben, Juden und Roma, wäre ohne Hitlers und Mussolinis Unterstützung nicht an die Macht gelangt. 400.000 Menschen kamen unter seiner Herrschaft zu Tode. Eine Politik des Völkermords, für die Titos Partisanen später blutige Rache nahmen. Dass Pavelic, der Chef der kroatischen Ustascha-Bewegung, nach 1945 mit Unterstützung der katholischen Kirche über die „Rattenlinie“ nach Argentinien entkommen konnte und nie als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt wurde, gehört nicht nur für Ulrich Schiller zu den großen Ungerechtigkeiten der Nachkriegsgeschichte.
Mit der Erinnerung an solche immer noch nicht historisch aufgearbeitete Hypotheken will Ulrich Schiller in dem Buch „Deutschland und ‚seine’ Kroaten. Vom Ustascha-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus“ der Aufnahme Kroatiens in die Europäische Union, wie er schreibt, „keinen Stein in den Weg legen.“ Gleichwohl aber präpariert Schiller die geschichtlichen Ursprünge der kroatischen Ideologie heraus, die bei der Auflösung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre zur Vertreibung der serbischen Minderheit führte und in einem blutigen Krieg um Bosnien-Herzegowina explodierte.
Eine Mitschuld daran, so urteilt Schiller, trägt auch die Balkanpolitik der Regierung Kohl. Sie habe die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens forciert, ohne von Franjo Tudjman, dem ersten Präsidenten der souverän gewordenen Teilrepublik, hinreichende Garantien für den Schutz der serbischen und der muslimischen Minderheit zu fordern. Dabei hätten Kohl und sein Außenminister Genscher durchaus über Tudjmans expansionistische Absichten informiert sein können, als sie ihn 1991 in Bonn empfingen. – Schiller schreibt:
ZITATOR
„Sie müssen gewusst haben, dass ihr Gast in Wort und Schrift Ansprüche auf bosnisches Territorium erhob, er sich (…) auf den ultrarechten Flügel der kroatischen Diaspora stützte, über Juden und bosnische Muslime abschätzige Bemerkungen fallen ließ, er ein in der Wolle gefärbter Nationalist mit etlichen Wurzeln in der faschistischen Ustascha-Ideologie war und Grenzveränderungen – selbst mit Gewalt – ebenso wenig scheute wie einen ‚Bevölkerungsaustausch’ zum Zwecke ethnischer Homogenisierung. Oder hatte seine Schriften niemand gelesen?“
Autor
Ulrich Schiller vermutet, dass die Bonner Bundesregierung, befangen in den Parametern des Kalten Krieges, die Bedenken der eigenen Balkan-Experten damals bewusst unter den Teppich gekehrt hat, da das postkommunistische Milosevic-Regime ihr als die größere Gefahr erschien. Eine fatale Einschätzung, die nicht nur das Wissen um Tudjmans Verwurzelung im Rassismus der Ustascha ignorierte, sondern auch die Erfahrungen, die man im Nachkriegsdeutschland mit dem kroatischen Extremismus gemacht hatte. Dazu gehörte z.B. der Anschlag in Mehlem bei Bonn, wo 26 Kroaten, die allesamt Asylrecht in der Bundesrepublik besaßen, 1962 mit Handgranaten, Brandsätzen und Feuerwaffen die jugoslawische Handelsmission stürmten und den Hausmeister erschossen. Verantwortlich war eine sogenannte „Kreuzbruderschaft“, die sich als Organisation der katholischen Flüchtlingshilfe ausgab und auch unter Gastarbeitern Nachwuchs für den Kampf gegen das sozialistische Jugoslawien rekrutierte. Attentate und Mordkomplotte von kroatischer Seite verzeichnete die bundesdeutsche Kriminalstatistik bis zur Mitte der 1970er Jahre.
Ulrich Schillers genaue Analyse der historisch belasteten Beziehungen zwischen „Deutschland und ‚seinen’ Kroaten“ ist kein trockenes Kompendium. Das Buch lebt von den vielfältigen Erfahrungen, die der Autor in einem langen Journalistenleben auf dem Balkan gemacht hat. Es wird von einem Vorwort des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Hans Koschnick eingeleitet, der als EU-Administrator in Mostar die Trümmer zu beseitigen hatte, die Tudjman und seine Gefolgsleute hinterlassen haben.
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» fnweb – 08.04.2010 +
Ex-Korrespondent Ulrich Schiller knüpft Zusammenhänge
Blick auf Kroatien
Es ist eine doppelte Botschaft, die der ehemalige Fernsehkorrespondent Ulrich Schiller an seine Leser richtet - erstens: Das mit Macht in die EU strebende Kroatien muss seine Vergangenheit aufarbeiten, beginnend mit der Nazi-Komplizenschaft während des Zweiten Weltkriegs. Zweitens: Die Europäer und wegen ihrer historischen Verantwortung besonders auch die Deutschen dürfen Südosteuropa nicht aus den Augen verlieren. „Die Darlegung der Ereignisse ist bedrückend“, schreibt der ehemalige EU-Administrator Hans Koschnick im Vorwort, „doch was die Fakten anbelangt unbestreitbar.“ Schiller will mit seinem Buch den Blick für Zusammenhänge öffnen, die der „einseitigen Schuldzuweisung für die Balkantragödie des 20. Jahrhunderts an Serbien den Boden entziehen“, ohne jedoch die Kriegsverbrechen der Milosevic, Karadzic und Mladic zu verharmlosen oder gar zu leugnen. Ein nützliches und gut lesbares Buch für alle, die sich mit den EU-Ambitionen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens und besonders Kroatiens auseinandersetzen wollen. Hdf
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» Süddeutsche Zeitung – 13.04.2010 +
Bonn war überfordert
Der Journalist Ulrich Schiller erklärt, warum die Kroatien-Politik der Bundesregierung fatal war
Das politische Urteil der Autoren ist streng. Doch der für die deutsche Jugoslawien-Politik der neunziger Jahre nicht gerade schmeichelhafte Richterspruch beruht auf untadeliger Professionalität: Der Slawist Ulrich Schiller war angesehener ARD-Hörfunkkorrespondent in Belgrad, Moskau und Washington. Hans Koschnik, ehemals Bremer Bürgermeister, hatte von 1994 bis 1996 die Position eines Administrators der Europäischen Union in Mostar inne. Koschnik verfasste das Vorwort zu Schillers Analyse der hierzulande oft heruntergespielten kroatischen Mitschuld an den Jugoslawienkriegen und der verfehlten Lageeinschätzung der damaligen Bundesregierung.
„Kohl und Genscher”, schreibt Ulrich Schiller, „waren überfordert und der Aufgabe des Konfliktmanagements in Jugoslawien nicht gewachsen, zwar erfahren im Ost/West-Konflikt, hatten sie vom Balkan wenig oder keine Ahnung und waren zudem absorbiert vom Drama der deutschen Wiedervereinigung.” Über die voreilige Anerkennung Kroatiens als selbständiger Staat durch die Bundesrepublik schreibt Koschnik: Diese Herauslösung aus dem jugoslawischen Bundesstaat hätte mit verfassungsrechtlich verbrieften Rechten für die Serben in Kroatien verbunden werden müssen. Zudem sei es ein „folgenschwerer Fehler” gewesen, sich nicht gegen Tudjmans Absicht gewehrt zu haben, Bosnien zwischen Serbien und Kroatien aufzuteilen. Für dieses Versäumnis habe die bosnische Bevölkerung bitter bezahlen müssen.
Kohl und Genscher waren blind
Angesichts der Kompetenz der beiden Autoren ist es fast überflüssig zu sagen, dass sie die historische Mitschuld des serbischen Präsidenten Slobodan Miloševic nicht relativieren. Die Wurzeln der kroatisch-deutschen Tragödie offenbart Schillers Buch bereits auf den ersten Blick: Das Cover zeigt das Denkmal, das bei Jasenovac an das dort gelegene ehemalige kroatische Konzentrationslager erinnert. Denn nach Schillers Darstellung war es der im faschistischen Ustascha-Staat gezüchtete kroatische Nationalismus, auf dem Tudjman in den neunziger Jahren sein „neues” Kroatien aufbauen wollte.
Hitlers Einmarsch in Jugoslawien und die Bombardierung Belgrads durch die deutsche Luftwaffe im Frühjahr 1941 hatten den Zerfall des 1918 gegründeten „Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen” zur Folge. In Kroatien wurde der faschistische Ustascha-Staat unter dem Poglavnik (Führer) Ante Pavelic gegründet. Pavelic, von Hitler und Mussolini installiert, ließ – mit Duldung der katholischen Kirche Kroatiens – in Jasenovac ein KZ errichten. Ob dort 70 000 oder 700 000 Serben, Juden sowie Sinti und Roma von kroatischen Ustascha umgebracht wurden, entzieht sich bis heute exakter wissenschaftlicher Kenntnis. Pavelic jedenfalls begann mit der Judenverfolgung, noch bevor Hitlers Schergen auf der Wannseekonferenz im Januar 1942 die sogenannte Endlösung beschlossen.
Titos großer Fehler
Franjo Tudjman allerdings wollte von den Verbrechen des Ustascha-Staates später nichts mehr wissen. Im Gegenteil, er gehörte zu jenen Relativierern des Holocaust, denen heute in der Bundesrepublik vermutlich der Prozess gemacht würde: Die Zahl der Opfer – in Jasenovac ebenso wie in den deutschen Vernichtungslagern – sei, schrieb er, „durch Emotionen Überlebender sowie durch übertreibende Abrechnungen mit Kriegsverbrechern nach dem Kriege zustande gekommen”. Auch leugnete oder verdrängte Tudjman die Untaten der Ustascha in Bosnien. Im Jahr 1941 etwa wurden Menschen in so großer Zahl ermordet, dass sich der Bischof von Mostar bei seinem Vorgesetzten, dem Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac, über die Gräueltaten der Pavelic-Milizen an den Serben beschwerte.
Der Kroate Tudjman, Historiker von Beruf, bekämpfte damals als General in Titos dem Sozialismus verschriebener Partisanenarmee nicht nur die deutschen Invasoren, sondern vor allem seine in Bosnien mordenden Ustascha-Landsleute. Seine Wandlung zum kroatischen Nationalisten und die Verniedlicher der Ustascha-Morde begann schon zu Titos Zeit: Wegen seiner ideologischen Kehrtwende wurde Tudjman unter Hausarrest gestellt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Haft wegen einer freien, wenn auch abwegigen Meinungsäußerung? Ulrich Schiller lässt keinen Zweifel daran, dass Titos Politik, eine friedliche Diskussion über die nationalen Differenzen zu unterbinden, zum Untergang Jugoslawiens beigetragen hat. Auch durch die Gefängnisstrafen radikalisiert, tauchte Tudjman als kroatischer Präsident plötzlich auf der europäischen Bühne sowie bei Kanzler Kohl und Außenminister Genscher auf.
Diese beiden aber waren durch die Untaten des serbischen Führers Slobodan Miloševic so beunruhigt, dass sie nicht wahrnahmen (oder nicht wahrnehmen wollten), wie sehr Tudjman ein kroatisches Spiegelbild des Serben war. Dass Miloševic und Tudjman in perfider Gemeinsamkeit über die Aufteilung Bosniens schacherten und so letztlich zu Kumpanen bei der Zerschlagung Jugoslawiens wurden, blieb ohne Einfluss auf die deutsche Haltung.
Schacher über Bosniens Teilung
Dass die Aufteilung Bosniens ohne Krieg nicht zu verwirklichen war und deshalb gegen die Schlussakte von Helsinki (1975) verstieß, welche die Änderung von Grenzen nur auf friedlichem Wege erlaubt – auch für dieses Szenario hatte man kein Auge. Die neue Unabhängigkeit der baltischen Staaten machte offenbar viele blind für die ganz anders gearteten Probleme Südosteuropas. Dort nämlich brachen die durch Tito zementierten, weil geleugneten ethnischen Gegensätze vulkanartig wieder auf. Statt alle Nationalisten in ihre Schranken zu weisen, wurde einer, nämlich Tudjman, sogar hofiert – von deutschen Politikern und auch von manchen deutschen Journalisten.
Schillers Buch endet mit der Feststellung, dass sich Tudjman, wäre er nicht gestorben, vermutlich ebenso wie Miloševic vor dem Haager Jugoslawientribunal hätte verantworten müssen. So sehr Schiller Tudjmans politische Verfehlung anklagt, ist ihm ein antikroatisches Sentiment doch völlig fremd. Vielmehr fordert er von Europa, Kroatien bei der Bewältigung seiner jüngeren Geschichte zu helfen. Dabei würde Deutschland sich genötigt sehen, seine damalige Politik kritisch aufzuarbeiten. HEIKO FLOTTAU
ULRICH SCHILLER: Deutschland und „seine” Kroaten. Vom Ustascha-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus. Donat-Verlag, Bremen 2010. 221 S., 14.80 Euro.
Nicht ohne meine Eiche: Auch eine Form von Nationalbewusstsein -
» jungeWelt – 15.02.2010 +
Pavelic, Hitler und der kroatische Nationalist Franjo Tudjman
Von Franz-Karl Hitze
Ulrich Schiller, ehemals ARD-Korrespondent in Belgrad, stellt in seinem Buch »Deutschland und ›seine‹ Kroaten« Fragen zur deutschen Mitverantwortung an der Entwicklung des Nationalismus in Kroatien. Hitler bediente sich seiner 1941, Teile des katholischen Klerus und des Vatikans trugen ihn in die Diaspora - auch in die Bundesrepublik. Die Nazis brachten mit Ante Pavelic an der Spitze das Ustascha-Regime in Kroatien an die Macht und etablierten mit ihm bis 1945 eine faschistische Regierung. Pavelic schuf nach der Besichtigung des KZ Sachsenhausen das kroatische Todeslager Jasenovac, bekämpfte Serben, Titos Partisanen und die königlich-serbischen Cetniks, schuf eine »Freiwillige Waffen-SS-Division«, entsandte eine kroatische Infanteriedivision an die Ostfront und mordete im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges über 400 000 Menschen, darunter 300 000 Serben, 31 000 Juden und Roma. Er floh 1947 mit einem Paß des Internationalen Roten Kreuzes nach Argentinien, wo er von Präsident Juan Peron mit offenen Armen empfangen wurde.
Nicht nur im deutschen Exil rüttelten so radikale nationalistische Kreise an der Existenz Jugoslawiens. Schiller beschreibt die BRD-Komplizenschaft mit dem Präsidenten des 1991 unabhängig gewordenen Kroatiens Franjo Tudjman, der mit Terror gegen die serbische Bevölkerung in der Krajina den Beginn der jugoslawischen Sezessionskriege entschied. Er machte sich die These Pavelic’ von »ethnisch reinen Gebieten« zu eigen.
Der Autor stellt die Frage, warum der deutschen Öffentlichkeit der kroatische Genozid an den Serben so wenig bewußt ist. Wie war es möglich, daß 30 000 kroatische Kriegsverbrecher nach Südamerika entkamen – und weitermachten? Die Überreste Jugoslawiens sind heute in unfertigen Nachfolgestaaten zu besichten. Schiller hat völlig recht, wenn er schreibt, daß die Deutschen seit 1941 mitverantwortlich an den Geschehnissen auf dem Balkan sind. Ein wichtiges Buch vor allem für jene Serbophoben, die so gern Urlaub an der Adria machen.
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» WELT ONLINE – 24.04.2010 +
Deutschland und „seine“ Kroaten.
von Dr. Jacques Schuster
Es gibt nicht viele Deutsche, die man als Balkan-Experten bezeichnen kann. Der Journalist und ehemalige Korrespondent Ulrich Schiller gehört zu ihnen. Jahrelang hat Schiller den gesamten Balkan bereist, kennt sich in Serbien genauso gut aus wie in Kroatien und Slowenien. Souverän stellt Schiller nicht nur die Krisenregion der Neunzigerjahre vor, sondern gräbt nach den Wurzeln des Konflikts zwischen Serben und Kroaten. Den Balkan-Krieg Anfang der 90er-Jahre wertet er als eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs in Kroatien und geht schonungslos mit den Fehlern ins Gericht, die der Westen im allgemeinen, die Bundesrepublik im besonderen in ihrer Balkan-Politik begangen haben. Am Ende stehen die Serben unter ihrem früheren Präsidenten Slobodan Milosevic besser da, als wir sie ihm Gedächtnis haben. Schiller plädiert daher auch für eine wohlwollende Aufnahme Serbiens in den Klub der Europäischen Union.
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» Cicero – 06.05.2010 +
"Da sind Zusammenhänge nicht erkannt worden"
Interview mit Ulrich Schiller
Mit dem Abkommen von Dayton endeten vor 15 Jahren die jugoslawischen Sezessionskriege. Bis heute ist jedoch kaum bekannt, wie eng die deutsche und die jugoslawische Geschichte miteinander verstrickt sind. Der langjährige ARD-Korrespondent und Buchautor Ulrich Schiller spricht mit Cicero Online über bisher wenig beachtete Hintergründe des Balkan-Konflikts und das lange umgangene Thema der deutschen Mitverantwortung.
Was hat Sie dazu bewogen, 15 Jahre nach den Balkankriegen ein Buch über die deutsch-kroatischen Beziehungen zu schreiben?
Vor etwa 3 Jahren erhielt ich das Buch eines früheren Studienfreunds. Er hat die ganze Katastrophe, die im Sommer 1941 über die Serben in der Herzegowina hereinbrach, beschrieben: von den KZs bis zu den grausamen Ermordungen in den Karstgruben. Ich begann mich zu fragen: Wie ist es dazu gekommen, wer waren die Leute, die sich Ustaša nannten? Und warum diese Leute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, wie die Nazis. Die meisten sind emmigriert und haben ihr Unwesen weiter getrieben. Ich habe mich dann gefragt, was davon geblieben ist. Natürlich kann man den heutigen Staat Kroatien nicht direkt mit dem Ustaša-Staat in Verbindung bringen. Aber Franjo Tudjman, der erste kroatische Präsident nach dem Zerfall Jugoslawiens, hat das Gedankengut der Ustasa, zum Beispiel die Vision eines Großkroatiens, aufgegriffen und dafür gesorgt, dass Kroatien fast serbenfrei wurde. Vor allem war er besessen von einer Teilung Bosniens - ein Auslöser des Balkankriegs.
Vor diesem Hintergrund: Inwiefern müssen wir Deutschen unser geschichtliches Verhältnis zum Balkan und unsere frühere Balkanpolitik nochmal aufarbeiten?
Erstens: Es war damals das Nazi-Reich, das Kroatien in den Faschismus gestürzt hat. In Kroatien selber war der Faschismus in der öffentlichen Meinung präsent, aber die Ustaša wären nie an die Macht gekommen, wenn Hitler und Mussolini sie nicht dort installiert hätten. Die Nazis haben den Grundstein gelegt für das, was dann als Völkermord an Serben, Juden und Roma in die Geschichte eingegangen ist. Der zweite Aspekt: Unsere Bundesregierung hat 1990/91 die Ängste der Menschen, die sich damals wiederbelebten, als Tudjman den Serben in Kroatien nur noch den Minderheitenstatus einräumte, unterschätzt. Wir haben zu wenig gewusst und als die Balkankriege 1991 ausbrachen, gab es ein großes Rätselraten, was sich hier eigentlich abspielt und was die Hintergründe wären. Es ist oft nicht das Richtige erkannt worden.
Warum gibt es in Deutschland kein Bewusstsein für die kroatischen Aggression gegen die Serben und vor allem für die deutsche Mitverantwortung?
Das ist eine Frage, die ich nicht mal selbst einhundertprozentig beantworten kann. Tatsache ist aber, dass der Faschismus von Hitler-Deutschland nach Kroatien gebracht worden ist. Hitler hat Jugoslawien zerschlagen, als die Serben 1941 gegen den Dreierpakt geputscht haben. Das Ustaša-Kroatien, diese faschistische Gruppe kam aus dem italienischen Exil und bekam die Macht übertragen, folgte dann dem Dritten Reich: es gab Judenverfolgungen und Verfolgung Andersdenkender, sowie KZ-Lager. Ustaša-Faschisten reisten nach Oranienburg, um sich das KZ anzusehen und nach diesem Vorbild Jasenovac, das berüchtigte Auschwitz des Balkans, aufzubauen. Über die Unterdrückung von Minderheiten konnten sie z.B. von Heydrich viel lernen. Hitler selbst hat den kroatischen Führer Ante Pavelic auf dem Obersalzberg zu einer harten Nationalitätenpolitik inspiriert. Das wurde dann auch gründlich vollzogen. Der nationale Wille zur Selbstständigkeit hat in der Geschichte viele Ausprägungen erfahren und hat oft zu nationalistischem Extremismus geführt. Nach dem 2. Weltkrieg schlug er um in nackten Terrorismus.
Lange vor dem Zusammenbruch Jugoslawiens hat sich der Nationalismus in der kroatischen Emigration widergespiegelt. Wieso hatte man hier kein Gespür dafür?
Zu Zeiten des Kalten Krieges hatte sich alles verbunden, was antikommunistisch war. Durch die Asylpolitik, vor allem in Bayern, kamen unglaublich viele kroatische Emigranten in die BRD, nur mit dem Ziel, ihre nationalistischen Zielezu verfolgen. Mit Hilfe der Kroaten im Ausland hoffte man, Titos Jugoslawien zerstören zu können – in Kanada, Schweden und bei uns.
Dass es bei uns lange toleriert wurde, ist erstaunlich. Denn das erste Attentat passierte 1962 in Godesberg: Die dortige jugoslawische Vertretung wurde von 26 jungen Kroaten überfallen, der Hausmeister erschossen. Danach folgte eine Serie von Anschlägen, z.B auf jugoslawische Konsuln, die der jugoslawische Geheimdienst mit Gegenschlägen beantwortete. Die BRD der 70er und 80er Jahre war das Schlachtfeld der jugoslawisch-kroatischen Auseinandersetzung.
Auch die spätere deutsche Politik von Genscher und Kohl hat sich verschätzt, beispielsweise mit der frühen Anerkennung der Eigenständigkeit Kroatiens.
Völlig richtig. Franjo Tudjman, 1990 der erste Präsident Kroatiens, stufte die Serben der Krajina zur Minderheit herab und nahm ihnen den Status eines konstitutiven Staatsvolkes. Die kroatischen Serben witterten dann die erneute Gefahr der Verfolgung wie unter dem Ustaša-Faschismus. Angst griff um sich. Milosevic hat sie angefeuert und unterstützt. Diese Zusammenhänge sind nicht erkannt worden, sonst hätte man Tudjman die Anerkennung des unabhängigen Kroatiens nicht so leicht gemacht.
Das Bild von der alleinigen serbischen Aggression muss revidiert werden?
Ja. Tudjman hat seinen Anteil an Kriegsschuld. Es hat kein Srebrenica in diesem Umfang gegeben, aber z.B ein fürchterliches Gemetzel im bosnischen Ahmici oder kroatische KZs in Bosnien.
Warum wohl haben Kohl und Genscher nicht angemessen reagiert?
Weil sie immer davon überzeugt waren, dass der größere Feind in Serbien bei der JVN (Jugoslawische Volksarmee) sitzt, die noch aus der Tito-Zeit stammte und von serbischen Offizieren bestimmt wurde. Und die Gefahr wurde natürlich dadurch illustriert, dass die Serben bei Kriegsausbruch 1991 mit voller Wucht in Kroatien zugeschlagen haben. Es kam bei Kohl und Genscher noch ein erschwerender Umstand hinzu, der oft nicht mehr erwähnt wird: Tudjman hat beiden in Bonn schon am 18.7.1991 erklärt, dass Bosnien zwischen Kroatien und Serbien geteilt werden müsse. Das konnte damals nur den Krieg bedeuten.
Also ein altes Ressentiment?
Es war ein altes Schema der Ost-West-Konfrontation: das katholische Kroatien zählte zum Westen, und war in dessen Augen auf dem Wege in die Demokratie. Das orthodoxe Serbien dagegen war ein postkommunistisches Land. Diese Ost-West-Frontstellung entsprach genau dem Muster des Kalten Krieges. Vielleicht muss man noch hinzufügen: 1991 hatte die Bundesregierung natürlich noch die Wende im Kopf. Auf dem Balkan kannte man sich nicht genügend aus und hat Entscheidungen gefällt, die sich fürchterlich auf den bosnischen Kriegen ausgewirkt haben.
Wie Deutschland ist auch die katholische Kirche in die geschichtlichen Zusammenhänge verstrickt...
Die katholische Kirche in Kroatien hat sich in einer militanten Weise als Schutzmauer der Christenheit gegen Byzanz und die orthodoxe östliche Welt verstanden. Unter diesem Vorzeichen hat sie die Machtergreifung der Ustasa-Faschisten von Hitlers Gnaden betrachtet. Ein Großteil des kroatischen Klerus hat die Ustasa unterstützt. Der damalige Papst Pius XII muss von den Massakern gewusst haben. Denn als die Serbenverfolgung in der Herzegowina im Sommer 1941 einsetzten, informierte der Bischof von Mostar den Zagreber Erzbischof Stepinac über die Ermordung von Menschen, die lebendig in Karstgruben geworfen wurden. Der hat das weitergegeben, der muss Papst informiert gewesen sein. Er wusste Bescheid über die grausamen Methoden, mit denen gegen die orthodoxen Serben vorgegangen wurde. Bei Kriegsende suchten dann die Ustasa-Führer ihr Heil in der Flucht und wurden dabei in entscheidender Weise vom katholischen Klerus und von Teilen des Vatikans unterstützt. Der kroatische Führer Ante Pavelic, einer der größten Kriegsverbrecher, konnte so ungeschoren nach Argentinien entkommen.
Könnte der heutige Papst etwas zur Aufarbeitung beitragen?
Er müsste erstmal auf die Idee kommen, Pius XII nicht selig zu sprechen, das wäre ein Signal. Wichtiger ist aber, dass die Differenzierung der katholischen Kirche in Kroatien langsam begonnen hat. Kardinal Bozanić, das Kirchenoberhaupt, ist zum ersten Mal im KZ Jacenovac gewesen und hat dort gefordert, die Wahrheit müsse ans Licht kommen. Er steht damit allein da, denn es gibt auch andere Stimmen, die nach wie vor Kritik an der kroatischen Vergangenheit mit Hochverrat gleichsetzten.
Wie ist die Wahl des Sozialdemokraten Ivo Josipovic zum neuen Präsidenten im Januar zu bewerten?
Mit seiner Wahl greift nun ein Umdenken um sich. Er hat den Mut, Dinge auszusprechen, die bisher als Unerhört und Ungesagt gelten mussten. Beispielsweise war er in Sarajewo und hat sich für das, was die Soldaten Tudjmans in Bosnien angerichtet haben, entschuldigt. Nach wie vor geht aber noch ein Zwiespalt durch die kroatische Gesellschaft, der Außenminister der ehemaligen Tudjman-Partei HDZ widersprach ihm: es habe keine kroatische Aggression in Bosnien-Herzegowina gegeben und man habe nie vor gehabt, das Land zu teilen. In der innerkroatischen Diskussion spitzen sich die Dinge in starkem Maße zu.
Wie ist die HDZ, die Partei Tudjmans, heute einzuschätzen?
Seit dem Ministerpräsidenten Ivo Sanader wollen alle nach Europa und arbeiten dafür z.B. auch mit dem Den Haager Tribunal zusammen. Sanader war es ja auch der General Gotovina bei der Ergreifung des Generals entscheidend mitgeholfen hat. Aber in anderen Fragen bleibt die Partei noch der Richtung Tudjmans verbunden. Das ist der Zwiespalt: eine konservative Partei, die sich mit der Vergangenheit möglichst wenig beschäftigen, aber doch nach Europa will. Wer aber dazu gehören will, muss den Mut haben, zu eigenen Verfehlungen zu stehen.
Gibt es die Gefahr, dass nationalistische Gedanken noch Anklang finden?
Die Bevölkerung in den Städten ist sicherlich nicht anfällig – der neue Präsident Josipovic ist mit 60% gewählt worden. Wie lange das noch dauert, ist schwer zu sagen, es ist natürlich auch eine Generationenfrage. Die jungen Leute wollen nach Europa und an sich nur noch wenig mit der Vergangenheit zu tun haben. Dennoch müssen sie aufgeklärt werden, denn was bisher als Geschichtsunterricht in den Schulen geboten wurde, war historischer Revisionismus. Zum Beispiel wurde die Zahl der Toten der Ustaša-Herrschaft heruntergespielt. Es müssen noch Anstrengungen gemacht werden, den jüngeren Generationen ein Geschichtsbild zu vermitteln, das einigermaßen den Tatsachen gerecht wird.
Mit Blick auf Kroatiens EU-Kandidatur: Gibt es etwas, was Sie der europäischen oder auch der deutschen Politik empfehlen würden?
Wenn wir Europa zusammenführen und erweitern wollen, kann es nicht nur darum gehen, dass wir eine Währungsunion haben, sondern es sollte auch eine Wertegemeinschaft sein. Dazu gehört nach meinen Erwägungen die Verantwortung für die Vergangenheit, die von jeder Generation übernommen werden muss, egal ob sie dabei war oder die Folgen zu tragen hat. Da habe ich entscheidende Versäumnisse gesehen, auf kroatischer wie auf der deutschen Seite.
Herr Schiller, wir danken für das Gespräch!
Das Interview führte Martin Ernst
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» Berliner Literaturkritik – 12.05.2010 +
„Das Nazi-Reich stürzte Kroatien in den Faschismus“
Ulrich Schiller über die deutsche Mitverantwortung im Balkan-Konflikt
© Die Berliner Literaturkritik, 12.05.10
BLK (BERLIN) - Mit dem Abkommen von Dayton endeten vor 15 Jahren die jugoslawischen Sezessionskriege. Bis heute ist jedoch kaum bekannt, wie eng die deutsche und die jugoslawische Geschichte miteinander verstrickt sind. Der langjährige ARD-Korrespondent und Buchautor Ulrich Schiller spricht mit Martin Ernst über bisher wenig beachtete Hintergründe des Balkan-Konflikts und das lange umgangene Thema der deutschen Mitverantwortung.
Martin Ernst: Was hat Sie dazu bewogen, 15 Jahre nach den Balkankriegen ein Buch über die deutsch-kroatischen Beziehungen zu schreiben?
Ulrich Schiller: Vor etwa 3 Jahren erhielt ich das Buch eines früheren Studienfreunds. Er hat die ganze Katastrophe, die im Sommer 1941 über die Serben in der Herzegowina hereinbrach, beschrieben: von den KZs bis zu den grausamen Ermordungen in den Karstgruben. Ich begann mich zu fragen: Wie ist es dazu gekommen, wer waren die Leute, die sich Ustaša nannten? Und warum diese Leute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, wie die Nazis. Die meisten sind emigriert und haben ihr Unwesen weiter getrieben. Ich habe mich dann gefragt, was davon geblieben ist. Natürlich kann man den heutigen Staat Kroatien nicht direkt mit dem Ustaša-Staat in Verbindung bringen. Aber Franjo Tudjman, der erste kroatische Präsident nach dem Zerfall Jugoslawiens, hat das Gedankengut der Ustaša, zum Beispiel die Vision eines Großkroatiens, aufgegriffen und dafür gesorgt, dass Kroatien fast serbenfrei wurde. Vor allem war er besessen von einer Teilung Bosniens - ein Auslöser des Balkankriegs.
Vor diesem Hintergrund: Inwiefern müssen wir Deutschen unser geschichtliches Verhältnis zum Balkan und unsere frühere Balkanpolitik nochmal aufarbeiten?
Erstens: Es war damals das Nazi-Reich, das Kroatien in den Faschismus gestürzt hat. In Kroatien selber war der Faschismus in der öffentlichen Meinung präsent, aber die Ustaša wären nie an die Macht gekommen, wenn Hitler und Mussolini sie nicht dort installiert hätten. Die Nazis haben den Grundstein gelegt für das, was dann als Völkermord an Serben, Juden und Roma in die Geschichte eingegangen ist. Der zweite Aspekt: Unsere Bundesregierung hat 1990/91 die Ängste der Menschen, die sich damals wiederbelebten, als Tudjman den Serben in Kroatien nur noch den Minderheitenstatus einräumte, unterschätzt. Wir haben zu wenig gewusst und als die Balkankriege 1991 ausbrachen, gab es ein großes Rätselraten, was sich hier eigentlich abspielt und was die Hintergründe wären. Es ist oft nicht das Richtige erkannt worden.
Warum gibt es in Deutschland kein Bewusstsein für die kroatischen Aggressionen gegen die Serben und vor allem für die deutsche Mitverantwortung?
Das ist eine Frage, die ich nicht mal selbst einhundertprozentig beantworten kann. Tatsache ist aber, dass der Faschismus von Hitler-Deutschland nach Kroatien gebracht worden ist. Hitler hat Jugoslawien zerschlagen, als die Serben 1941 gegen den Dreierpakt geputscht haben. Das Ustaša-Kroatien, diese faschistische Gruppe kam aus dem italienischen Exil und bekam die Macht übertragen, folgte dann dem Dritten Reich: es gab Judenverfolgungen und Verfolgung Andersdenkender, sowie KZ-Lager. Ustaša-Faschisten reisten nach Oranienburg, um sich das KZ anzusehen und nach diesem Vorbild Jasenovac, das berüchtigte Auschwitz des Balkans, aufzubauen. Über die Unterdrückung von Minderheiten konnten sie z.B. von Heydrich viel lernen. Hitler selbst hat den kroatischen Führer Ante Pavelic auf dem Obersalzberg zu einer harten Nationalitätenpolitik inspiriert. Das wurde dann auch gründlich vollzogen. Der nationale Wille zur Selbstständigkeit hat in der Geschichte viele Ausprägungen erfahren und hat oft zu nationalistischem Extremismus geführt. Nach dem 2. Weltkrieg schlug er um in nackten Terrorismus.
Lange vor dem Zusammenbruch Jugoslawiens hat sich der Nationalismus in der kroatischen Emigration widergespiegelt. Wieso hatte man hier kein Gespür dafür?
Zu Zeiten des Kalten Krieges hatte sich alles verbunden, was antikommunistisch war. Durch die Asylpolitik, vor allem in Bayern, kamen unglaublich viele kroatische Emigranten in die BRD, nur mit dem Ziel, ihre nationalistischen Ziele zu verfolgen. Mit Hilfe der Kroaten im Ausland hoffte man, Titos Jugoslawien zerstören zu können – in Kanada, Schweden und bei uns. Dass es bei uns lange toleriert wurde, ist erstaunlich. Denn das erste Attentat passierte 1962 in Godesberg: Die dortige jugoslawische Vertretung wurde von 26 jungen Kroaten überfallen, der Hausmeister erschossen. Danach folgte eine Serie von Anschlägen, z.B. auf jugoslawische Konsuln, die der jugoslawische Geheimdienst mit Gegenschlägen beantwortete. Die BRD der 70er und 80er Jahre war das Schlachtfeld der jugoslawisch-kroatischen Auseinandersetzung.
Auch die spätere deutsche Politik von Genscher und Kohl hat sich verschätzt, beispielsweise mit der frühen Anerkennung der Eigenständigkeit Kroatiens.
Völlig richtig. Franjo Tudjman, 1990 der erste Präsident Kroatiens, stufte die Serben der Krajina zur Minderheit herab und nahm ihnen den Status eines konstitutiven Staatsvolkes. Die kroatischen Serben witterten dann die erneute Gefahr der Verfolgung wie unter dem Ustaša-Faschismus. Angst griff um sich. Milosevic hat sie angefeuert und unterstützt. Diese Zusammenhänge sind nicht erkannt worden, sonst hätte man Tudjman die Anerkennung des unabhängigen Kroatiens nicht so leicht gemacht.
Das Bild von der alleinigen serbischen Aggression muss revidiert werden?
Ja. Tudjman hat seinen Anteil an Kriegsschuld. Es hat kein Srebrenica in diesem Umfang gegeben, aber z.B. ein fürchterliches Gemetzel im bosnischen Ahmici oder kroatische KZs in Bosnien.
Warum wohl haben Kohl und Genscher nicht angemessen reagiert?
Weil sie immer davon überzeugt waren, dass der größere Feind in Serbien bei der JVN (Jugoslawische Volksarmee) sitzt, die noch aus der Tito-Zeit stammte und von serbischen Offizieren bestimmt wurde. Und die Gefahr wurde natürlich dadurch illustriert, dass die Serben bei Kriegsausbruch 1991 mit voller Wucht in Kroatien zugeschlagen haben. Es kam bei Kohl und Genscher noch ein erschwerender Umstand hinzu, der oft nicht mehr erwähnt wird: Tudjman hat beiden in Bonn schon am 18.7.1991 erklärt, dass Bosnien zwischen Kroatien und Serbien geteilt werden müsse. Das konnte damals nur den Krieg bedeuten.
Also ein altes Ressentiment?
Es war ein altes Schema der Ost-West-Konfrontation: das katholische Kroatien zählte zum Westen, und war in dessen Augen auf dem Wege in die Demokratie. Das orthodoxe Serbien dagegen war ein postkommunistisches Land. Diese Ost-West-Frontstellung entsprach genau dem Muster des Kalten Krieges. Vielleicht muss man noch hinzufügen: 1991 hatte die Bundesregierung natürlich noch die Wende im Kopf. Auf dem Balkan kannte man sich nicht genügend aus und hat Entscheidungen gefällt, die sich fürchterlich auf den bosnischen Kriegen ausgewirkt haben.
Wie Deutschland ist auch die katholische Kirche in die geschichtlichen Zusammenhänge verstrickt...
Die katholische Kirche in Kroatien hat sich in einer militanten Weise als Schutzmauer der Christenheit gegen Byzanz und die orthodoxe östliche Welt verstanden. Unter diesem Vorzeichen hat sie die Machtergreifung der Ustaša-Faschisten von Hitlers Gnaden betrachtet. Ein Großteil des kroatischen Klerus hat die Ustaša unterstützt. Der damalige Papst Pius XII muss von den Massakern gewusst haben. Denn als die Serbenverfolgung in der Herzegowina im Sommer 1941 einsetzten, informierte der Bischof von Mostar den Zagreber Erzbischof Stepinac über die Ermordung von Menschen, die lebendig in Karstgruben geworfen wurden. Der hat das weitergegeben, der muss Papst informiert gewesen sein. Er wusste Bescheid über die grausamen Methoden, mit denen gegen die orthodoxen Serben vorgegangen wurde. Bei Kriegsende suchten dann die Ustaša-Führer ihr Heil in der Flucht und wurden dabei in entscheidender Weise vom katholischen Klerus und von Teilen des Vatikans unterstützt. Der kroatische Führer Ante Pavelic, einer der größten Kriegsverbrecher, konnte so ungeschoren nach Argentinien entkommen.
Könnte der heutige Papst etwas zur Aufarbeitung beitragen?
Er müsste erstmal auf die Idee kommen, Pius XII nicht selig zu sprechen, das wäre ein Signal. Wichtiger ist aber, dass die Differenzierung der katholischen Kirche in Kroatien langsam begonnen hat. Kardinal Bozanić, das Kirchenoberhaupt, ist zum ersten Mal im KZ Jacenovac gewesen und hat dort gefordert, die Wahrheit müsse ans Licht kommen. Er steht damit allein da, denn es gibt auch andere Stimmen, die nach wie vor Kritik an der kroatischen Vergangenheit mit Hochverrat gleichsetzten.
Wie ist die Wahl des Sozialdemokraten Ivo Josipovic zum neuen Präsidenten im Januar zu bewerten?
Mit seiner Wahl greift nun ein Umdenken um sich. Er hat den Mut, Dinge auszusprechen, die bisher als Unerhört und Ungesagt gelten mussten. Beispielsweise war er in Sarajewo und hat sich für das, was die Soldaten Tudjmans in Bosnien angerichtet haben, entschuldigt. Nach wie vor geht aber noch ein Zwiespalt durch die kroatische Gesellschaft, der Außenminister der ehemaligen Tudjman-Partei HDZ widersprach ihm: es habe keine kroatische Aggression in Bosnien-Herzegowina gegeben und man habe nie vor gehabt, das Land zu teilen. In der innerkroatischen Diskussion spitzen sich die Dinge in starkem Maße zu.
Wie ist die HDZ, die Partei Tudjmans, heute einzuschätzen?
Seit dem Ministerpräsidenten Ivo Sanader wollen alle nach Europa und arbeiten dafür z.B. auch mit dem Den Haager Tribunal zusammen. Sanader war es ja auch der General Gotovina bei der Ergreifung des Generals entscheidend mitgeholfen hat. Aber in anderen Fragen bleibt die Partei noch der Richtung Tudjmans verbunden. Das ist der Zwiespalt: eine konservative Partei, die sich mit der Vergangenheit möglichst wenig beschäftigen, aber doch nach Europa will. Wer aber dazu gehören will, muss den Mut haben, zu eigenen Verfehlungen zu stehen.
Gibt es die Gefahr, dass nationalistische Gedanken noch Anklang finden?
Die Bevölkerung in den Städten ist sicherlich nicht anfällig – der neue Präsident Josipovic ist mit 60% gewählt worden. Wie lange das noch dauert, ist schwer zu sagen, es ist natürlich auch eine Generationenfrage. Die jungen Leute wollen nach Europa und an sich nur noch wenig mit der Vergangenheit zu tun haben. Dennoch müssen sie aufgeklärt werden, denn was bisher als Geschichtsunterricht in den Schulen geboten wurde, war historischer Revisionismus. Zum Beispiel wurde die Zahl der Toten der Ustaša-Herrschaft heruntergespielt. Es müssen noch Anstrengungen gemacht werden, den jüngeren Generationen ein Geschichtsbild zu vermitteln, das einigermaßen den Tatsachen gerecht wird.
Mit Blick auf Kroatiens EU-Kandidatur: Gibt es etwas, was Sie der europäischen oder auch der deutschen Politik empfehlen würden?
Wenn wir Europa zusammenführen und erweitern wollen, kann es nicht nur darum gehen, dass wir eine Währungsunion haben, sondern es sollte auch eine Wertegemeinschaft sein. Dazu gehört nach meinen Erwägungen die Verantwortung für die Vergangenheit, die von jeder Generation übernommen werden muss, egal ob sie dabei war oder die Folgen zu tragen hat. Da habe ich entscheidende Versäumnisse gesehen, auf kroatischer wie auf der deutschen Seite.
Herr Schiller, wir danken für das Gespräch!
Die Erstpublikation des Interviews erfolgte bei „Cicero Online“.
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» Westfälische Rundschau – 12.07.2010 +
Bosnien gedenkt des Massenmordes von Srebrenica – vor 15 Jahren starben 8000 MenschenErinnerungen an das Massaker
Petra Kappe
Srebrenica.Der Marsch der Mütter von Srebrenica hält die Erinnerung wach an den größten Völkermord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die bosnischen Frauen, die sich gestern, wie an jedem 11. Juli, auf den Weg von Srebrenica zum Friedhof nach Potocari machten, begruben dort ihre Väter und Söhne, Brüder und Ehemänner.
Erst 15 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica haben sie letzte Gewissheit über deren Tod erhalten. Die Internationale Kommission für vermisste Personen (ICMP) hat im vergangenen Jahr mehr als 700 Tote neu identifiziert. Moderne DNA-Analysen geben den in Massengräbern verscharrten Opfern ihre Namen zurück.
Srebrenica ist zum Inbegriff der Gräuel des Bosnienkrieges geworden. In der Schutzzone der Vereinten Nationen glaubten die Menschen sich sicher vor den Angriffen der bosnisch-serbischen Armee unter der Führung von Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Doch das niederländische Blauhelmcorps, bei dem Zehntausende Zuflucht suchten, überliess dieVerzweifelten ihrem Schicksal.
Weniger als 4000 der wohl 8000 Opfer sind bis heute auf dem Friedhof in Potocari bestattet. Die Frauen von Srebrenica haben jahrelang mit den Behörden der Republica Srpska, des serbischen Teilstaats in Bosnien-Herzegowina, um diesen Friedhof gekämpft. Sie wollten ihrer Toten dort gedenken, wo sie sie damals verloren.
Kalter-Krieg-Denken
Während die Mütter von Srebrenica die Erinnerung an das Inferno wachhalten, geraten andere Orte des Schreckens aus dem Blickfeld. Ahmici, StupniDound Dretelj sind Beispiele, die Ulrich Schiller in dem Buch „Deutschland und ,seine’ Kroaten“ nennt. Der Autor, der jeder „einseitigen Schuldzuweisung für die Balkantragödie den Boden entziehen“ will, rückt die kroatischen Kriegsgräuel in den Fokus und drängt auf Aufarbeitung.Kroatien, das sich anschickt, Mitglied der Europäischen Union zu werden, müsse sich kritisch mit Franjo Tudjman befassen, dem ersten Präsidenten des selbstständigen Kroatien, den sie „Vater der Nation“ nennen. Schiller zeichnet die Traditionslinien nach, in denen Tudjman stand; der Autor erinnert an die faschistische Ustascha, der Hitler und Mussolini die Macht überKroatien gaben; er belegt die lange vor dem Bosnienkrieg zwischen Tudjman und dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic abgemachte Aufteilung von Bosnien-Herzegowina und kommt unweigerlich auf die Verantwortung der deutschen Bundesregierung zu sprechen: Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher ließen „den kroatischen Präsidenten gewähren“, schreibt Schiller, und unterstützten ihn gar, „obwohl sie seine Bosnienpläne kannten“.Eine Erklärung dafür sieht der Autor in schlichter Überforderung. Die damalige Bundesregierung sei der Aufgabe einfach „nicht gewachsen“ gewesen. Als weiteren Ansatz führt er das Verhaftetsein im Kalter-Kriegs-Denken an, wonach das katholische Kroatien alsWesten galt, das byzantinisch, spätkommunistische Serbien als Osten - „strategisch klare Fronten“.
Schiller schreibt gegen das Schwarz-Weiß-Denken an, gegen das Vergessen, Verdrängen, Verklären. Seine Mahnung gilt einer Vielzahl von Adressaten zwischen Zagreb und Washington, Bonn und dem Vatikan. Ein wichtiges Buch – 15 Jahre nach Srebrenica.
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» Badische Zeitung – 12.07.2010 +
SACHBUCH: Deutschlands Mitschuld
Mit Staunen blickten Westeuropäer in den 90er Jahren auf den Balkan, wo sich die verschiedenen Völker Jugoslawiens blutige Kriege lieferten. Eigentlich hatte man geglaubt, nationalistische Konflikte gehörten in Europa der Vergangenheit an. Der frühere ARD-Korrespondent in Belgrad, Ulrich Schiller, lenkt in seinem Buch "Deutschland und ’seine’ Kroaten" nun den Blick auf die Geschichte des Balkans und zeigt auf, dass Deutschland Mitverantwortung für den so schmerzvollen Zerfall des früheren Jugoslawiens trägt. Mit viel Sachkenntnis zeichnet er auf, welch verheerende Folgen es hatte, dass die Verbrechen der faschistischen Kroaten an Serben während des Zweiten Weltkriegs nie aufgearbeitet wurden. Der frühere Kanzler Helmut Kohl und sein Außenminister Dietrich Genscher hätten einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie vorschnell Kroatien als unabhängigen Staat anerkannten – und damit den Hass der Serben auf Kroaten erneut anfachten. In seine Betrachtungen lässt Schiller immer wieder persönliche Erfahrungen miteinfließen. Das erleichtert den Zugang zum historisch schweren Stoff.
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» SÜDOSTEUROPA Mitteilungen – 04-05/2010 +
Rezensent: Hansjörg Eiff, Bad Godesberg
Ulrich Schiller, ehemaliger ARD-Korrespondent in Belgrad, Moskau und in Washington (dort auch für „Die Zeit“), hat im Ruhestand mehrfach Probleme der internationalen Politik bearbeitet, die ihn über die Jahre nicht losgelassen haben. Dazu gehört der Untergang Jugoslawiens vor zwanzig Jahren. In seinem jüngsten Buch greift Schiller einen Aspekt der Katastrophe auf, der nach seinen Beobachtungen speziell in Deutschland bisher zu wenig beachtet wurde: die kroatische Mitverantwortung am Untergang Jugoslawiens. Er kritisiert, dass die deutsche Bundesregierung davor die Augen verschlossen und sich einseitig auf Serbien als Hauptschuldigen fixiert habe.