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Süddeutsche Zeitung – 13.04.2010
Bonn war überfordert
Der Journalist Ulrich Schiller erklärt, warum die Kroatien-Politik der Bundesregierung fatal war
Das politische Urteil der Autoren ist streng. Dort der für die deusche Jugoslawien-Politik der neunziger Jahre nicht gerade schmeichelhafte Richterspruch beruht auf untadeliger Profession ... weiterlesen
Deutschland und „seine“ Kroaten
Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus
Mit einem Vorwort von Hans Koschnick
Der Zufall führte Ulrich Schiller 1953 in das Haus eines serbischen Studenten in der Herzegowina – und vieles nahm hier seinen Anfang. Später kehrte er in die Region zurück, als ARD-Korrespondent in Belgrad, doch wichtiger: Fortan hat er sich mit der Geschichte und Entwicklung der Konflikte auf dem Balkan, insbesondere des serbisch-kroatischen Konflikts, beschäftigt, auch wenn er längst in anderen Ländern arbeitete.
Die Mutter seines serbischen Austauschpartners war in Jasenovac, dem
„Auschwitz des Balkans“, von kroatischen Faschisten, den Ustaša, ermordet
worden. „War ich, ehemaliger deutscher Soldat, mitverantwortlich
am Tode der Mutter meines Freundes?“ – fragte
sich Schiller. Und: Warum ist der kroatische Genozid an
den Serben – und den Juden und den Roma – der deutschen
Öffentlichkeit so wenig bewusst? Wie war es möglich,
dass kroatische Kriegsverbrecher in Scharen nach Südamerika
entkamen und weiter wirkten? Eine schlimme Komplizenschaft
offenbarte sich: Der virulente Nationalismus,
dessen sich Hitler 1941 in kaltem Machtkalkül in Kroatien
bediente, ist von Teilen des katholischen Klerus und des
Vatikans in die Diaspora getragen worden, und das auch
in der Bundesrepublik Deutschland. Im Exil agierten radikale
und nationalistische Kreise, die zusammen mit den
Fliehkräften im Innern an der Existenz Jugoslawiens
rüttelten. An der Behandlung der Serben in der Krajina
unter dem neuen Präsidenten des unabhängigen Kroatiens,
Franjo Tudjman, entschied sich der Beginn der jugoslawischen Sezessionskriege.
Die große Balkantragödie der 1990er Jahre nahm ihren Lauf. Grausamkeit
bestimmte den Krieg vom ersten Tag an, und die Brutalität, mit der Serbien
unter Milošević sofort auf Kroatien einschlug, beseitigte vor allem in der deutschen
Öffentlichkeit jeden Zweifel, wer hier die Bösen waren – und warum
man die Guten, die Kroaten, durch internationale Anerkennung beschützen
müsse. Aber da war noch Bosnien, und die bosnischen Probleme ließen sich mit dem „kroatischen Rezept“ nicht meistern. Viele wussten das und fürchteten ein
bosnisches „Finale“ wie das Armageddon; die Freunde und Förderer Tudjmans
in Bonn allerdings zeigten sich von allen Warnungen unbeeindruckt.
Was übrig blieb vom ehemaligen Jugoslawien, ist heute in unfertigen Nachfolgestaaten
zu besichtigen. Wir aber, die Deutschen, seit 1941 mitverantwortlich
an den Geschehnissen auf dem Balkan, sollten – so folgert Ulrich Schiller – mit
allen Kräften versuchen, dort zu helfen, wo wir selbst, freilich auch unter Schmerzen,
das meiste geleistet haben: im ehrlichen Umgang mit der Vergangenheit.
Ein glänzend geschriebenes Buch, das dem Leser ein wichtiges Stück Europas
als geschichtliche Erfahrung und bleibende Aufgabe vor Augen führt.
228 Seiten, 1 Karte, 14.80 € – ISBN 978-3-938275-70-2